Die EK Bewegung der DDR Grenztruppen
Mit „EKs" bezeichnete man bei der Armee die „Entlassungskandidaten“, also die Soldaten des letzten Diensthalbjahres deren Entlassung von der Truppe am nächsten bevor stand. Bei vielen Waffengattungen nutzten diese Soldaten ihre Erfahrungen und Beziehungen, um ungestraft die Soldaten der jüngeren Halbjahre zu drangsalieren und zu schikanieren. Auch als Wiedergutmachung für die selbst als Frischling erlittenen Demütigungen wurden die neuen Soldaten zum Stiefelputzen, Reviersäubern, Essenholen und vielen anderen Dingen gezwungen.
Wenn ich von der EK – Bewegung an der Grenze erzähle, können das viele, die woanders dienten, gar nicht glauben.
Deshalb hier ein Bericht darüber, wie ich das an der Grenze erlebt habe. Er wird etwas länger ausfallen, aber vielleicht liest ihn trotzdem jemand.
Keimschmiede
Die Grenztruppen der DDR unterhielten Ausbildungsregimente, in denen die frisch eingezogenen Soldaten nach der militärischen Grundausbildung über einen Zeitraum von einem halben Jahr alles lernen sollten, was sie für den Grenzdienst benötigten. In diesen Ausbildungsregimenten gab es fast ausschließlich Soldaten des ersten Diensthalbjahres. Es war also gar niemand da, der uns schikanieren konnte. Gerade in der Eingewöhnungszeit mussten wir uns deshalb nicht noch vor unseren eigenen Kameraden fürchten.
Patenonkel
Beim Einzug in meine Grenzkompanie kam ich auf eine Stube, die mit 6 Soldaten (inzwischen eigentlich 6 Gefreiten) belegt war. Es gab 6 Doppelstockbetten, die jeweils unteren Bettgestelle belegten diese „EKs“. Ein EK, erklärte man mir, sei „zu alt“, um noch nach oben in das obere Bett zu klettern. Ok, wenn’s weiter nichts ist. Schnell stellte sich dann der unter mir Liegende als mein „Patenonkel“ vor. Patenonkel ? Waren ich jetzt sein persönlicher Sklave oder was ?
Nein, der Patenonkel fühlte sich verpflichtet, sich um meine Eingewöhnung „am Kanten“ zu kümmern. Zunächst gab es einige Geschenke, wie sich das für ein Patenkind gehört. Das waren unter Anderem
Eine Kordel mit 2 Karabinerhaken
Diese Kordel hakte man mit einem Haken ins Knopfloch der Innentasche der Uniform. An den anderen Haken kam später, wenn man Postenführer war, der „Goldene Schlüssel in den Westen“. Die Tore im Grenzsignalzaun waren durch Vorhängeschlösser verschlossen. Jeder Grenzposten trug einen Schlüssel bei sich, um sie passieren zu können. Damit diese Schlüssel nicht verloren gingen, bastelten sich die Soldaten diese Kordeln
Eine Liste der Postenpunkte des Abschnitts
Solche Listen mit Bezeichnungen markanter Geländepunkte waren eigentlich verboten. Sie hätten verloren gehen und in falsche Hände gelangen können. Trotzdem halfen sie sehr beim Lernen im Abschnitt, für den Grenzdienst war die Kenntnis aller Postenpunkte unerlässlich. Man schickte uns zum „Melden an Postenpunkt 6“ – ja, wohin sollten wir nun ? Die Liste erleichterte den Einstieg
Ein paar Garnituren Unterwäsche
Die Armee stellte uns nicht nur die Uniformen, sondern auch die Leibwäsche. Das waren gelblich schimmernde lange Hemden und Unterhosen. Der gelbliche Schimmer, beruhigte man uns, käme von einer Salzlösung, mit der die Wäsche imprägniert sei, um etwas ‚feuerfester’ zu werden. Wir glaubten das gern, denn die anderen Gründe für gelbe Unterwäsche wollten wir nicht wissen, (Man durfte auch eigene Wäsche verwenden, aber das war vielen zu umständlich – schließlich hatte man nur alle 10-12 Wochen einmal Urlaub und musste Päckchen hin und her schicken). Auf der Kompanie gab es alle 14 Tage einen Wäschetausch. Wenn man zwischendurch etwas benötigte, war das immer mit einem Haufen Lauferei verbunden. Die geschenkte Unterwäsche half, über diese Zeit zu kommen, denn zur normalen Ausrüstung gehörten nur 4 oder 5 Garnituren (für 14 Tage !).
Bilder mit Rangabzeichen des BGS und des Zolls und Hubschrauberfotos
Damit man später korrekte Meldungen machen konnte auch wenn man in der Grundausbildung nicht so gut aufgepasst hatte.
Ein "LuKi"
Beim stundenlangen Sitzen („Ducken“) im Gelände bekam man oft einen kalten Hintern, ein aufblasbares Luftkissen machte das etwas gemütlicher.
Verwöhnung
Eine Schicht mit seinem Patenonkel war meist etwas Besonderes. Da man täglich die Postenpaare neu mischte, kam das gar nicht so häufig vor. Für seinen Patenonkel nahm man besonders viel „Verwöhnung“ mit zum Dienst: Eine Tafel Schokolade, Dosen mit Früchten, Kekse. Auch Dosen mit Fertiggerichten (ganz beliebt „Königsberger Klopse“), die wir dann im Abschnitt aufwärmten und als willkommene Abwechslung sowie Zeitvertreib achteten. Das alles sollte den EK bei Laune halten, damit er dir auch weiterhin wohlgesonnen bleibt. Gegessen wurde dann meist alles gemeinsam. Aber das Drumherum war eben bemerkenswert.
Verbote
Für uns Neue gab es einige Spielregeln zu beachten. So durften wir bestimmte Worte nicht in Gegenwart der EKs aussprechen: „Heimgang“, „Heimi“ (=ein Hase) usw. Auch die Farbe Blau war für uns tabu: blaue Thermoskannen, blaue LuKis waren den EKs vorbehalten. Beim Nichtbefolgen dieser Regeln zahlte der Ertappte eine Mark in die „Putscherkasse“. Aus dieser Kasse finanzierten wir dann unsere Kaffeeorgien: Wir tranken an manchem Abend eine Kanne Kaffee (Bohnekaffee war kostenpflichtig an der Grenze) nach der anderen, solange, bis sich auch ein gewisser Rauschzustand einstellte. Auch hier tranken EKs und Achtziger gemeinsam vom eingezahlten Geld.
Bandmaß
Das wichtigste Utensil des EKs war sein Bandmaß. Dazu bemalten und beschrifteten wir ein Schneidermaßband von 150 cm in der Art eines Kalenders. Jeder Zentimeter stand für einen Tag, den die Entlassung näher rückte. Jeden Tag schnitten wir also einen cm ab, und das kürzer werdende Band zeigte uns die näher rückende Entlassung an. Der erste Anschnitt – also 150 Tage vor dem Entlassungstermin – wurde gefeiert. Die EKs standen im Gang auf ihren Hockern. Das Maßband war ausgerollt, unten, am ersten Tag, hing an einer Klemme der Stahlhelm. Die Patenkinder standen in Unterwäsche vor ihren Patenonkeln. Auf dem Kopf ebenfalls der Stahlhelm, gekrönt von einer brennenden Kerze. Die Patenkinder durften nun den ersten Zentimeter abschneiden – alle gleichzeitig – und die Stahlhelme donnerten auf den Steinfußboden. Danach gab’s Kaffee bis zum Abwinken.
Da das Bandmaß wie gesagt sehr wichtig für den EK war, durften die Achtziger die EKs jederzeit (auch im Waschraum - sehr beliebt) zum Vorzeigen des Bandmaßes auffordern. EKs, die man hier ohne Bandmaß ertappte, zahlten ebenfalls eine Mark in die Putscherkasse.
Ja, so erlebte ich die berüchtigte EK – Bewegung an der Grünen Grenze. Natürlich putzte auch an der Grenze ein EK Stube, Gang und Klo nicht mehr. Das durften ausnahmslos wir „Achtziger“ - wie man uns in Anlehnung auf einen früheren Soldaten - Einstiegssold von 80,00 Mark nannte - , erledigen. Aber die Stiefel putzte sich schon jeder selbst. Bunte Spiele (z.B. Zugfahrt der EKs nach Hause) gab es nur zur Belustigung aller, kaum auf Kosten der Achtziger.
Sicher lag das hauptsächlich daran, dass wir täglich mit scharfen Waffen umgingen. Ein drangsalierter Achtziger hätte schnell durchdrehen und großen Schaden anrichten können.
Vielleicht war es aber auch ein wenig das Gefühl, das wir Grenzer schon in einer besonderen Situation waren und deshalb besser zusammenhalten sollten. Ich durfte auf jeden Fall in dieser Zeit die beste Kameradschaft
Quelle Forum DDR Grenze